Seltene Erden: Der Westen ist naiv und passiv

Die Autoren: Jens Gutzmer ist Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts Freiberg für Ressourcentechnologie. Jakob Kullik ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Chemnitz.

Um sich chinesischer Machtpolitik bei den Metallen nicht auszuliefern, muss die Politik handeln. Die Industrie muss sich um Investitionen bemühen.

Bei den Metallen der Seltenen Erden – jenen 17 chemischen Elementen, die für eine Vielzahl unserer modernen Technologien unverzichtbar sind – ist die Funktionsweise von Angebot und Nachfrage seit langer Zeit gestört. Grund dafür ist, dass der größte Marktteilnehmer China, der mit staatlichen Mitteln die Produktion der Seltenen Erden kontrolliert, eine solch beherrschende Stellung hat, dass er die Regeln aushebeln kann.

Dem Geologischen Dienst der USA zufolge finden mehr als 80 Prozent der offiziellen Weltproduktion an Seltenen Erden in Bergwerken in wenigen chinesischen Provinzen statt. Konkurrenten gibt es nur wenige: eine Mine in Australien und ein paar kleinere Projekte in Indien, Afrika und den USA. Nicht nur die Produktion der Rohstoffe steht größtenteils unter der Kontrolle Pekings. Fast die gesamte weltweite Wertschöpfungskette für Seltene Erden wird mittlerweile von chinesischen Unternehmen dominiert. Vom Erz bis zum Endprodukt reicht die klare Vorrangstellung Chinas.

Aufgrund dieser Dominanz konnte das Land erfolgreich neue Konkurrenten vom Markt verdrängen und sein Monopol festigen. Für die angestrebte Technologieführerschaft der Volksrepublik ist diese mehrstufige Kontrolle der Rohstoffe und der verarbeiteten Produkte ein strategischer Vorteil gegenüber ihren Hauptkonkurrenten in Amerika, Japan und Europa.

Peking profitiert dabei nicht nur von der faktischen Kontrolle über die Wertschöpfungskette, sondern auch vom wirtschaftspolitischen Irrglauben in den Hauptstädten des Westens, die Marktkräfte würden dieses Problem schon lösen. Dass Rohstoffe auch strategische Instrumente im weltweiten Kampf um Macht und Technologieführerschaft sein können, wurde lange als veraltetes geopolitisches Denken abgetan. Die jüngste chinesische Drohkulisse, Seltene Erden als Druckmittel im Handelsstreit mit den Vereinigten Staaten einzusetzen, hat aber in gewisser Hinsicht Tradition: Japan musste 2010 spüren, was es heißt, wenn Peking alle Lieferungen Seltener Erden für zwei Monate stoppt.

Schon damals hätten die Verantwortlichen in Berlin, Brüssel und Washington alarmiert sein müssen – und sie hätten handeln müssen. Doch anstatt Deutschlands und Europas Rohstoffversorgung strategischer auszurichten, folgten Berlin und Brüssel den üblichen Aufmerksamkeitskonjunkturen und überließen das Thema einer Reihe von Expertenrunden und der Industrie. Geschickt nutzte China zudem die fallenden Preise für Seltene Erden zu seinen Gunsten, indem es die von westlichen Firmen erkundeten vielversprechendsten Lagerstätten in Europa, Australien und den USA nach und nach durch Beteiligungen unter seine Kontrolle brachte.

So ist das chinesische Unternehmen Shenghe Resources seit 2016 Teilhaber an der australischen Firma Greenland Minerals, die aus einer Lagerstätte im Süden Grönlands Seltene Erden und Uran abbauen will. Die Entwicklung des Projekts wurde im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts gefördert. Die Verarbeitung und damit die eigentliche Wertschöpfung der grönländischen Rohstoffe soll nun in China stattfinden. Shenghe ist auch an der letzten existierenden Mine für Seltene Erden im kalifornischen Mountain Pass beteiligt. Die geförderten Erze werden aus den USA in die Volksrepublik verschifft. Der Westen exploriert, China baut ab. Diese Passivität und Naivität des Westens hat in Summe nur Chinas Rohstoffmonopol gestärkt. Auch ein Schiedsspruch der Welthandelsorganisation von 2014 zugunsten der USA und EU, der feststellte, dass China über Exportquoten und Zölle die Marktpreise für Seltene Erden in die Höhe trieb, hat die strukturelle Marktsituation nicht wesentlich verändert.

Rohstoffe wie Seltene Erden, Lithium, Kobalt und Kupfer sind die Grundlage all unserer politischen Großprojekte: Kampf gegen den Klimawandel durch grüne Technologien, Sicherung des Industriestandorts Deutschland durch Zukunftstechnologien, stärkere sicherheitspolitische Autonomie durch eine europäische Rüstungsindustrie. Die Bundesregierung und die EU-Kommission sollten die wichtigsten Metalle als wirtschaftsstrategische Rohstoffe einstufen, die Nutzung vorwiegend europäischer Lagerstätten fördern und Anlagen zur Weiterverarbeitung Seltener Erden und anderer wichtiger Rohstoffe wie Lithium in der EU errichten. Damit könnten sie mehrere Ziele erreichen: Versorgungssicherheit für die europäische Industrie, Schutz der Umwelt aufgrund strengerer Regeln in Europa als in China und regionale Wirtschaftsförderung in den Abbauregionen.

Die ideale Lösung wäre, wenn sich die Industrie selbst stärker um strategische Rohstoffinvestitionen bemühte. Wenn dies jedoch nicht geschieht, sollte die Politik aktiv werden. Europas Rohstoffsicherheit muss von der Mine bis zum Produkt gedacht und politisch mitgesteuert werden.

Quelle: Handelsblatt

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